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Twitter gibt sich neue Hatespeech-Regeln. Das Problem liegt aber woanders.

Twitter hat sich neue Regeln im Umgang mit Hatespeech gegeben. Voll exekutiert würde der neue “Code of Conduct” wesentlichen Einfluss auf den Umgang der User miteinander auf der Plattform haben. Dass es aber nicht um neue Regeln sondern um deren Umsetzung auf globaler Ebene geht, sehen wir als Hauptproblem. Social Networks wie twitter sind gefangen in einer Spirale zwischen berechtigten Regulierungsansprüchen der Zivilgesellschaft und ihrer Rentabilität als technischer Plattform, deren Algorithmen diese Verantwortung nicht schultern können – zumindest in Deutschland.

Anfang der Woche hat twitter ein neues Update seiner Policy vorgestellt, die den Rahmen dessen bildet, was die Plattform als “gutes Verhalten” zu tolerieren bereit ist. Vulgo für: “die Hausregeln” gegenüber Hatespeech.

Enforcing New Rules to Reduce Hateful Conduct and Abusive Behavior“, heißt der Text, den twitter auf seinem Blog am Montag veröffentlich hat und wir wollen gerne daraus zitieren:

New Rules on Violence and Physical Harm

Specific threats of violence or wishing for serious physical harm, death, or disease to an individual or group of people is in violation of our policies. Our new changes include more types of related content including:

  • Accounts that affiliate with organizations that use or promote violence against civilians to further their causes. Groups included in this policy will be those that identify as such or engage in activity — both on and off the platform — that promotes violence. This policy does not apply to military or government entities and we will consider exceptions for groups that are currently engaging in (or have engaged in) peaceful resolution.
  • Content that glorifies violence or the perpetrators of a violent act. This includes celebrating any violent act in a manner that may inspire others to replicate it or any violence where people were targeted because of their membership in a protected group. We will require offending Tweets to be removed and repeated violations will result in permanent suspension.

Expanding our Rules to Include Related Content

Our hateful conduct policy and rules against abusive behavior prohibit promoting violence against or directly attacking or threatening other people on the basis of their group characteristics, as well as engaging in abusive behavior that harasses, intimidates, or uses fear to silence another person’s voice. We are broadening these policies to include additional types of related content and conduct including:

Any account that abuses or threatens others through their profile information, including their username, display name, or profile bio. If an account’s profile information includes a violent threat or multiple slurs, epithets, racist or sexist tropes, incites fear, or reduces someone to less than human, it will be permanently suspended. We plan to develop internal tools to help us identify violating accounts to supplement user reports.

Hateful imagery will now be considered sensitive media under our media policy. We consider hateful imagery to be logos, symbols, or images whose purpose is to promote hostility and malice against others based on their race, religion, disability, sexual orientation, or ethnicity/national origin. If this type of content appears in header or profile images, we will now accept profile-level reports and require account owners to remove any violating media.

Das sind große Worte für eine Plattform, die sich speziell in Deutschland bisher sehr schwer getan hat, überhaupt gegen irgendeine Form von Hatespeech vorzugehen. Sie sind jetzt u.a. hier nachzulesen.

Zensur rechter Meinungen?

twitters Policy-Überarbeitungen kommen aus den USA und nicht aus Europa. Sicherlich reflektieren sie den zunehmenden Druck, dem Social Networks weltweit in Sachen Verantwortung für Hate Speech ausgesetzt sind. Bevor jetzt wieder rechtsextreme Kreise ihre Meinungsfreiheit eingeschränkt sehen und das #NetzDG für diese Änderung angehen: das NetzDG dürfte in der globalen Entscheidung für neue Regeln eine untergeordnete Bedeutung gehabt haben. Tatsächlich reagiert twitter damit wahrscheinlich deutlich eher auf den Stimmungswandel in den USA, der spätestens seit den rechtsextremen Krawallen von Charlottesville deutlich wurde. Hier kam das Social Network einmal mehr durch seine unklare Politik in Sachen freier Meinung vs Gewaltandrohung, Hass und Ausgrenzung an seine Grenzen. Selbst im Land der unbegrenzten Free-Speech-Möglichkeiten sind neue Standards im Umgang mit extremen Meinungen gerade ein großes Thema bei allen wichtigen Tech-Konzernen.

Was die neuen Standards nichts sind, sind Regeln, die sich explizit gegen Rechts wenden. Das steht nirgendwo. So würden nach den oben stehenden Regeln Linksextreme, die zum Beispiel Bilder von Polizisten von den Schanzenkrawallen auf twitter teilen, ebenso sanktioniert werden, wie Rechtsextreme, die das gleiche tun. Hatespeech ist das Thema. Nicht eine politische Weltanschauung. Was die neuen Regeln aber durchaus tun, ist, Standards zu setzen in Sachen “Feindseligkeit” gegenüber Ethnien, religiösen Gemeinschaften und Sexualität. Wenn sich hier Menschen über die neuen “globalen” Regulierungen rund um Gewalt und Gewaltandrohung gegenüber Menschen “anderer Herkunft” angesprochen fühlen und finden, dass dies eine unangebrachte Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit darstellt, empfehlen wir nochmal die eigenen Moralstandards zu überprüfen. Dass aber Hass auf Ethnien und Religionsgemeinschaften auch nicht auf das rechte Spektrum beschränkt sondern durchaus z.B. auch bei muslimischen Gruppierungen zu finden ist, steht ausser Frage. Natürlich gelten Regeln nicht für rechte Deutsche. Sie gelten für jedermann. Hass und Ausgrenzung kennt kein Links-Rechts-Spektrum und keine Nationalität.

Umsetzung in Deutschland dürfte ein Problem werden.

Ein Hauptproblem, das jedes Social Network dabei hat, dürfte weniger das Setzen von neuen Regeln, oder Policies, sein. Vielmehr dürfte das globale “Enforcement”, also die Umsetzung ein Problem werden. Wir reden ja nicht über Unternehmen, die in jedem Land der Welt riesige Büros mit tausenden Mitarbeitern haben, die in Landessprache die unglaublichen Massen an Tweets validieren und bewerten können. Schließlich haben die großen Tech-Konzerne ihren Investoren eine neue Zeit versprochen, in der man all das nicht mehr braucht. So lange keine Ansprüche an Tech-Konzerne gestellt wurden, Inhalte zumindest ein Stückweit zu regulieren, ging die Kostenrechnung auf. Was aber, wenn genau diese Forderungen gestellt werden und die künstliche Intelligenz noch gar nicht in der Lage ist, automatisiert Verantwortung über die vielen Millionen Inhalte zu übernehmen und auf Knopfdruck Regeln durchzusetzen? Das genau dieses organisationelle Problem die Haupt-Challenge für viele Social Networks sein dürfte, scheint wahrscheinlich. Man hat sich jahrelang damit gebrüstet, wie viel Content auf den eigenen Plattformen generiert wird. Jetzt muss man ihn lesen, bewerten und im Zweifelsfall eingreifen. Die dafür notwendigen Ressourcen über einen ganzen Planeten aufzuspannen, dürfte eine Mammutaufgabe für jedes Unternehmen werden, das sich neue Regeln gibt.

Damit stellt sich vor allem in nicht-englischsprachigen Ländern wie Deutschland die Frage, was die neuen Regeln wert sind. Bisher hat twitter hierzulande deutlich zu wenig und deutlich zu konfus auf Hatespeech reagiert. Scheinbar weil es, wie bisher, kaum klare Regeln gab, wie dies zu definieren sei. Sicherlich aber auch aufgrund mangelnder Ressourcen. Wir sprechen schließlich über sehr sehr sehr sehr sehr viele Daten in Echtzeit. Das große Twitter Büro in Berlin wurde Ende 2016 zugemacht. Ein kleines Rumpf-Büro in Hamburg existiert zwar – dass von hier aus ein robuster Umgang mit den eigenen Hausregeln in Zukunft zu erwarten ist, bleibt abzuwarten. Dass durch das Update Lügen- und Schmutzkampagnen Einschränkung finden werden, steht jedoch kaum zu hoffen.


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